Gedenkstunde

Bundestag gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus

Am Donnerstag sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zusammengekommen, um der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Neben Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sprach der Holocaust-Überlebende Professor Saul Friedländer im Rahmen der Gedenkveranstaltung. Er betonte in seiner Rede, dass die Verteidigung des Existenzrechts Israels eine moralische Verpflichtung sei.

Am Donnerstagmorgen, dem 31. Januar 2019, ist der Bundestag zusammenkommen, um den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zu begehen. Als Gastredner war Saul Friedländer eingeladen. Der 86-Jährige war als Sohn jüdischer Eltern in Prag als Pavel Friedländer geboren worden. Friedländer überlebte den Holocaust, seine Eltern wurden in Ausschwitz getötet. Nach dem Krieg ging Friedländer nach Israel, ist seit Jahrzehnten angesehener Professor für Geschichte. Zum Auftakt der Gedenkveranstaltung richtete Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble mahnende ans Plenum.

Keine Nation kann sich ihre Geschichte aussuchen oder sie abstreifen

"Man findet den Begriff Holocaust im Grundgesetz nicht, aber das von Deutschen begangene Menschheitsverbrechen hallt in dieser Verfassung unüberhörbar nach: In den Grundrechten, die das Individuum vor staatlicher Willkür schützen, im rechtlichen Fundament einer wehrhaften Demokratie, um nicht zuzulassen, dass noch einmal demokratische Freiheiten für die Zerstörung der freiheitlichen Demokratie missbraucht werden", betonte der Bundestagspräsident. Keine Nation könne sich ihre Geschichte aussuchen oder sie abstreifen. "Geschichte ist die Voraussetzung der Gegenwart und der Umgang mit ihr ist die Grundlage der Zukunft jedes Landes", so Schäuble. Aus der deutschen Schuld erwachse unsere Verantwortung nicht vergessen zu dürfen, um die Menschen zu ehren, die ihr Leben verloren haben, um ihnen ihre Würde zurückzugeben. Um unserer selbst willen. "Erinnerungskultur ist deshalb auch nicht allein Sache der Zivilgesellschaft, sie gehört mit zu den staatlichen Aufgaben. Wer daran rütteln wollte, legt an Hand an die Grundfesten unserer Republik", bekräftige der Bundestagspräsident.

Saul Friedländer richtete sehr emotionale Worte an die Abgeordneten – in Deutsch, der Sprache seiner Kindheit, die er über viele Jahre vergessen hatte. "Am 30. Januar 1939, also gestern auf den Tag genau vor 80 Jahren, erklärte Hitler im Reichstag, wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde sein und damit der Sieg des Judentums, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa", erinnerte Friedländer. Viele gewöhnliche Deutsche hätten bereits 1942 gewusst, was Hitlers Prophezeiung bedeutete. Ein Artikel in der Niedersächsischen Tageszeitung im Februar dieses Jahres über eine von Hitlers Reden trug die Überschrift 'Der Jude wird ausgerottet'. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Nazis die Juden schon zu Hunderttausenden in den Konzentrationslagern im Osten ermordet.

Israel ist ein Gefühl der Heimat und der Zugehörigkeit

Friedländer erinnerte an sie, aber auch seine Familiengeschichte ist exemplarisch für das, was Millionen Juden in Europa geschah. Friedländers Eltern mussten nach Frankreich fliehen, als Friedländer sechs Jahre alt war. Dort wurde aus ihm Saul. Als Saul zehn Jahre war, gaben die Eltern ihren Sohn zu seinem Schutz erst in ein Kinderheim, dann in ein Priesterseminar. Dort konvertierte Saul zum Christentum. Seine Eltern wollten in die sichere Schweiz, doch die Flucht missglückte. Sie wurden im November 1942 nach Ausschwitz deportiert, sein Vater gleich ermordet, die Mutter starb wenige Monate später.

Nach dem Krieg blieb Saul Friedländer noch einige Zeit in Frankreich, bevor er im Juni 1948 nach Israel ging. "Für mich und für meine Generation europäischer Juden, was von ihr übrig geblieben war bedeutete Israel damals eine Heimat, ein Gefühl von Zugehörigkeit und das ist es für mich letztlich bis zum heutigen Tag – ungeachtet meiner Kritik an der Politik seiner Regierung", so Friedländer

Die Verteidigung der Existenz Israels sei eine moralische Verpflichtung, auf die man in dieser Zeit, in der bei der extremen Rechten und extremen Linke die Existenz Israels wieder in Frage gestellt werde, hinweisen müsse.

Friedländer habe gezögert, vor dem Bundestag zu sprechen. Warum er die Einladung angenommen hat: "Weil ich wie viele Menschen weltweit im heutigen Deutschland ein von Grund auf verändertes Deutschland sehe. Dank seiner langjährigen Wandlung seit dem Krieg ist Deutschland eines der starken Bollwerke gegen die Gefahren geworden", begründete der Historiker. "Wir alle hoffen, dass sie die moralische Standfestigkeit besitzen weiterhin für Toleranz und Inklusivität, Menschlichkeit und Freiheit, kurzum für die wahre Demokratie zu kämpfen", so Friedländer.